Die Sache will's, mein Herz

Als ich vom Zubringer auf die Autobahn einbog, lag die Straße fast vollkommen verlassen vor mir. Es war kurz nach neun am Morgen, und der Berufsverkehr hatte sich inzwischen weitgehend aufgelöst. Nur ab und zu kreuzte ein einsamer Brummifahrer meinen Weg. Die Umstände erschienen mir passend, den Z4 ein bisschen zu fordern. Ich trat das Gaspedal durch und war begeistert von der Kompromisslosigkeit, mit der ich plötzlich in den weichen Ledersitz gedrückt wurde. Es lag eine lange Fahrt vor mir, aber mir kam der Gedanke, dass ich in Tonys bestem Stück diesem Morgen vielleicht doch noch etwas Positives abgewinnen konnte. Fast augenblicklich hallte seine beschwörende Stimme durch meinen Kopf:
Mona, du kannst mit dem BMW fahren, aber bitte – versprich mir, dass du nicht so schnell fährst, ja? Du weißt, das ist nicht einfach nur ein Auto. Ich brauche meine Unterlagen erst gegen Mittag, hörst du? Also, fahr – bitte – langsam!
Ach, Tony, halt doch einfach deine verdammte Klappe! Ich drehte das Radio lauter und übertönte sein Gezeter mit Lenny Kravitz’ kreischender Gitarre. 
Irgendwann tauchte dieser Audi A8 vor mir auf. Mir war inzwischen schon ziemlich langweilig, und ich verfluchte Tony für seine Vergesslichkeit. Ich war kein Kurierbote, dessen Aufgabe es war, ihm ständig seine Sachen hinterher zu kutschieren, und ich schwor mir, dass dies definitiv das letzte Mal war, dass ich ihn über meine Zeit verfügen ließ, als ob ich seinem unterwürfigen Stab speichelleckender Kratzfüßler angehörte.
Der Audi war anthrazitmetallic, sorgfältig poliert und mit dezenten Spoilern und glänzenden Alufelgen ausgestattet. Das Nummernschild verriet, dass es ein Mietwagen war, und das weckte meine Neugier. Solch ein Luxusschlitten war sicherlich kein Fahrzeug, das man jedem x-beliebigen Kunden anbot. Ich fuhr dichter auf.
Der Fahrer war groß, sicherlich über eins achtzig, so wie er den Sitz überragte. In seinem Seitenspiegel konnte ich sehen, dass er ein weißes Hemd und eine dunkle Krawatte trug – ein gepflegter Geschäftsmann mittleren Alters. Ich betrachtete den kleinen Ausschnitt seines Gesichtes in seinem Rückspiegel. Er hatte eine breite, kräftige Nasenwurzel, seine Augen lagen tief unter dunklen, dichten Brauen und blickten konzentriert nach vorne auf die Straße. Er war das einzig Erwähnenswerte weit und breit und ich entschied, eine Weile an ihm dran zu bleiben. Links und rechts der Randstreifen gab es nichts als abgeerntete, brach liegende Felder und struppige Hecken. Der Himmel war grau und trist, und die schweren Wolken schienen zu gleichen Teilen den Horizont und meine Stimmung nieder zu drücken. Ab und zu prallte ein dicker Regentropfen auf die Windschutzscheibe, doch das Wetter blieb unschlüssig über den Ausgang der nächsten Stunden und ließ mich in dieser farblosen, schizophrenen Grauzone schmoren. Vielleicht konnte mich ein kleiner Flirt aufheitern. Ich steckte mir eine Gauloises an und blies den Rauch genussvoll gegen das Verdeck. Und komm niemals auf die Idee, im Auto zu rauchen, hörst du? Das Nikotin verfärbt die ganzen Armaturen, von dem Gestank mal ganz abgesehen.
Mit gemütlichen 110 Stundenkilometern folgte ich dem Audi und war ganz versunken in die wenigen Details des Fahrers, die die Spiegel von ihm preisgaben. Ich schätzte ihn auf Mitte, Ende Vierzig, manchmal, wenn er den Kopf ein wenig neigte, konnte ich seine Schläfen sehen. Die dunklen Haare waren dicht und voll, aber die grauen Flächen darin waren nicht zu übersehen. Ich dachte darüber nach, dass Frauen mit den ersten grauen Haaren einfach nur noch hässlich aussahen, Männer damit jedoch immer interessanter wurden. Lisa lästerte immer, ich hätte einen totalen Schatten, auf solche alten Knacker abzufahren, aber meiner Meinung nach war es ohnehin sinnlos, mit einer Vierundzwanzigjährigen, die auf Weichspüler wie Orlando Bloom stand, ernsthaft über Männer zu diskutieren.