Synonym für alles
Katharina sieht von ihrem Buch auf, als sie sein Motorrad die stille Straße entlangkommen hört. Es ist kurz nach zehn am Sonntagabend. Sie lauscht dem letzten wilden Aufheulen des Motors und stellt sich vor, wie er mit steifen Bewegungen absteigt, beeinträchtigt durch das lange Sitzen und durch das dicke Leder seines Motorradanzugs, wie er die Maschine neben ihren Micra auf den Stellplatz des Mietshauses schiebt. Sie ist erleichtert, wie jedes Mal, wenn er heil zurückgekehrt ist. Er ist ein Geschwindigkeitsjunkie, ein sturköpfiger, aggressiver Fahrer der versucht, dem übrigen Verkehr seinen Willen aufzuzwingen. Sie weiß das. Er hat seine ganz eigene Auffassung von Gefahr und Risiko, und sie ist immer in Sorge, wenn er unterwegs ist. Doch jetzt ist er da. Alles ist gut. Katharina hat sich schon den ganzen Tag nach diesem Augenblick gesehnt, wenn er den Motor der Honda endlich ersterben lässt, wenn er kurz darauf seinen Wohnungsschlüssel im Schloss dreht und dann mit schweren Schritten und knarzender Lederkluft durch den Flur kommt. Sie sieht wieder auf ihr Buch hinab und tut so, als ob seine Heimkehr nichts Besonderes für sie ist. Seine Schritte stoppen in der Wohnzimmertür.
„Hey, Zuckerschnecke.“
Sie sieht auf.
„Oh, hallo.“
Da steht er im Türrahmen, hoch gewachsen und breitschultrig, das dunkelblonde Haar verschwitzt und an den Kopf gedrückt, ein bisschen müde vielleicht, aber für den Augenblick vollkommen zufrieden. Katharina mag diesen gelassenen Ausdruck in seinem Gesicht, wenn seine sonst so zerfurchte Stirn glatt ist und seine dunklen Augen vor Begeisterung leuchten. Es ist ein seltener Moment und sie genießt ihn, auch wenn sie weiß, dass er nicht von Dauer sein wird. Vielleicht ein, zwei Stunden, solange er noch gefangen ist im Adrenalin durchtränkten Rausch der Geschwindigkeit, in seiner eigenen durch nichts zu beeinflussenden Definition von Freiheit und Glück.