Kosmisches Rauschen

Luna hieß nicht nur wie unser Erdtrabant, Luna war der Mond, seine weibliche Personifizierung, die Möndin, wie sie selbst – zuerst im Scherz, später mit zunehmender Ernsthaftigkeit – zu sagen pflegte. Ihrer Meinung nach war es ein unverrückbares Indiz männlicher deutscher Überheblichkeit, dass der Mond in fast allen Landessprachen weiblich war, nur im Deutschen eben nicht.
Luna war der Mond, so kühl wie sein fahles Licht in einer Tau durchtränkten Frühlingsnacht, mystisch und geheimnisvoll, fremdartig und gleichzeitig tief vertraut. Sie war wechselhaft wie seine Phasen, so unergründlich wie seine stetig der Erde abgewandte Seite. Sie zerrte an meinem Inneren wie an dem Gezeitenstrom, schenkte mir die Illusion, dass jeder meiner Schritte im magischen Staub ihrer Seele der erste sei, lullte mich ein mit ihrem kosmischen Rauschen, um mich am Ende dann doch alleine zurückzulassen.

Ich lernte sie vor fünf Jahren an der Universität kennen.
Ich war gerade erst angekommen, zwei Wochen zu spät, weil ich eine üble Grippe hatte auskurieren müssen, und meine Mutter mich nicht eher aus ihrer Obhut entlassen hatte, bis ich wieder vollkommen hergestellt war. Es war mein erstes Semester Psychologie bei Professor Tengelgarn, und bereits in der ersten Vorlesung Methodenlehre fühlte ich mich komplett überfordert und vollkommen fehl am Platz. Tengelgarn war ein staubtrockener, schlechtgelaunter Kauz, der älter als Methusalem schien und mit knarzender, einschläfernder Stimme über deskriptive und schließende Statistik referierte. Deprimiert stierte ich ins Halbrund des Auditoriums, über strebsam gestreckte Rücken und unterwürfige Gesichter mit steilen Denkfalten hinweg. Dann sah ich Luna. Sie saß ein paar Reihen über mir, zurückgelehnt und entspannt, vollkommen überlegen. Mein Blick verfing sich in ihren rotbraunen Locken, die sich in ungebändigten Tentakeln um ihr ruhiges, aristokratisches Gesicht wanden. Sie war groß, feingliedrig, ein bisschen zu dünn vielleicht. Ich lächelte gequält zu ihr hin, und als sie nach einer Weile den Kopf drehte und mir aufmunternd zuzwinkerte, war es bereits um mich geschehen.