Nachttrabanten
Die Nacht war sternenklar und erfüllt vom durchdringenden Zirpen der Grillen. Eine ganze musizierende Heerschar schien sich im Garten unter dem Balkon zu einem mitternächtlichen Konzert eingefunden zu haben. Nach der Hitze des Tages kühlte die Luft jetzt merklich ab.
Zoe griff nach ihrer Strickjacke, die neben ihr auf dem leeren Stuhl lag, und hängte sie um ihre nackten Schultern. Das dritte Glas Weißwein machte sie schläfrig, ließ ihren Kopf angenehm leicht werden, und ihre Lider allmählich schwer. Sie lehnte sich behaglich zurück und blickte in den tiefschwarzen Himmel hinauf. Was für ein atemberaubender Anblick! Wie unendlich weit das Universum doch war, und wie unfassbar nah es in dieser Nacht schien, gerade so, als brauche sie nur ihre Hand auszustrecken, um die Sterne geradewegs vom Himmel zu pflücken.
Da war der Polarstern, ein kalt blitzender Funke in der nördlichen Finsternis. Dort das Bild des Kleinen Bären. Und da war Kassiopeia auf ihrem Thron, der Sage nach wegen ihres Hochmuts, von allen die Schönste zu sein, von Poseidon für immer an den Himmel verbannt. Zoe hob die Hand und folgte dem liegenden W ihrer Kontur mit dem Zeigefinger. Die Kerze auf dem kleinen Balkontisch begann in einer aufkommenden Brise zu tänzeln. Ihr zuckender Schein zeichnete einen lichten Kreis in die Dunkelheit, erhellte einen kleinen Flecken von Zoes neuem Reich – bequeme Korbstühle mit weißen Polstern, Johanna Sinisalos Troll, das sie bereits vor einer ganzen Weile aus der Hand gelegt hatte, das halbvolle Weinglas – und natürlich ihr Gesicht, von dem sie wusste, dass er es aus der Dunkelheit heraus anstarrte.